Freitag, 31. Mai 2013

Eigentlich müsste ich jetzt der Chronologie wegen mit meiner Beschreibung des Spitals fortfahren. Da ich aber zu müde bin, um mich an die ganzen Geschichten der letzten zwei Wochen zu erinnern, versuche ich es mal mit dem heutigen Tag.
Ich erwachte so gegen 7h30. Beziehungsweise schüttelte der kreischende Wecker mich aus dem Schlaf (ich weiss nicht, ob Kreischen die korrekte Umschreibung dessen ist, was ein Wecker tut - aber mir passt der Ausdruck hier). Ich träume seit ich in Afrika bin noch viel lebhafter und wache jeden Morgen auf als wäre ein Truck über mich gefahren.
In der Zwischenzeit habe ich unter viel Mühsal mein Badewannenbett gegen ein relativ Gutes eintauschen können. Auch gehe ich für meine Verhältnisse früh schlafen - viel mehr kann man an den Abenden hier eh nicht tun. Und doch bin ich immer noch ungewöhnlich müde morgens. Erst seit ca 2 Tagen wird es ein bisschen besser.
Dann mache ich Katzenwäsche in unserem Bad und ziehe meine blütenweissen Spitalkleider an. Diese weisse Hose und T-Shirt sind sehr wichtig! Sie sind mein Schutz und Panzer gegen die Unbill/Gestank/Not/Elend im Spital und müssen jeden Tag frisch sein! Dann habe ich mit Nina und Pascale gefrühstückt. Normalerweise gibt es Scones, die man an jeder Strassenecke selbstgebacken kaufen kann (sehr lecker) und Bananen (auch viel besser als in Europa). Dazu ein Tässchen Tee mit Milch - thanks god, dass wenigstens dieses Kulturgut in Kashikishi erhältlich ist.


The Scone


Bald kam Maxon.
Maxon ist ein Kapitel für sich... Man könnte sagen, er ist unser Hausangestellter und zuständig für Abwasch, Kleiderwäsche (von Hand...mit kaltem Wasser...mit gut Glück fliessendem Wasser neben dem Haus...), Einkauf, Fegen, Abfallverbrennen im Garten.... Jaaaa, richtig gehört. Nun, eine Müllabfuhr gibt es hier nicht. Was glaubt ihr macht man mit dem Abfall??? Es gibt die Variante: in den See kippen. Der ist aber ein bisschen zu weit weg. Dann gibt es die Variante: im Garten vergraben....Wir ziehen es vor, ihn vorher verbrennen zu lassen. Eben von Maxon. Keine ganz einfache Sache Plastikflaschen, Plastiksäcke und Plastikverpackungenmit miesen Zündhölzchen im Garten zu verbrennen. Deswegen bleibt ja auch immer recht viel übrig. Das schüttet er  in ein Loch im Garten. Von dort verteilen es die Raben und streunenden Hunde dann wieder im Garten - ein sich selbst unterhaltender Kreislauf der Natur.

Stilleben aus unserem Garten

Nun also, zurück zu Maxon. Er ist unser Hausangestellter. Das wäre politisch korrekt ausgedrückt. Man könnte aber auch sagen, er ist unser Faktotum. Oder unser Housboy. Oder auch unser Patient im ambulanten Alkoholentzugsporgramm mit Beschäftigungstherapie. Auf jeden Fall haben wir uns schon ziemlich heftig den Kopf zerbrochen über ihn. Denn er kam meist betrunken und stinkend zur Arbeit, die er denkbar schlecht erledigte. Zuerst waren wir erstaunt, dann etwas verunsichert, dann genervt und schliesslich haben wir uns dazu durchgerungen sehr streng mit ihm zu sein. Wenigstens versuchen wir es. Denn trotz allem: man kann dem Schlingel einfach nicht böse sein.

Maxon am Grillbauen im Garten
Aber zurück zum heutigen Tag. Wir liefen so gegen 8 Uhr zum Spital. Theoretisch wäre heute ein Morgenrapport gewesen (jeweils Montags, Mittwochs und Freitags). Praktisch aber trafen wir den Chefarzt vor dem Spital am Schäckern mit der Physiotherapeutin (der Chefarzt ist 29 Jahre alt und ein charmanter Luftibus). Er winkte ab "its nobody there and anyway they took away the chairs for the funeral". Also kein Morgenrapport.
So bin ich in Childrens Ward gelaufen. Dort kümmere ich mich um Beauty. ACHTUNG: Jetzt kommt viel Mediziner-Slang (und keine schöne Geschichte): Beauty ist 13jaehriges Maedchen mit einem seit Jahren bekannten schweren Herzfehler. On-Off Patientin im Spital. Seit 4 Tagen wieder eingeliefert. Klinisch erbaermlicher Zustand!!! Beine und Bauch gespannt, voller Oedeme bzw Aszites. Hepatosplenomegalie. Sauerstoffsaettigung um 95%. Systolikum 6/6  mit punktum maximum ueber Mitralklappe (man sieht das Herz von aussen im mageren Körperchen Schwirren). BD unmessbar (habe es mehrmals versucht, gefuehlsmaessig eher niedrig). Puls um 110/min, rhythmisch. NYHA IV (schwere Atemnot). Gewicht: ca 25 kg - sie kann sich nicht auf den Beinen halten und es gibt natürlich keine Sitzwaagen.
In den letzten 3 Tagen hatte sie lediglich EINE Tablette Moduretic erhalten. Denn es gibt EINE Krankenschwester für den ganzen Children Ward mit 30 - 40 Kindern plus Eltern..... Da geht vieles vergessen und unter... So auch die Medikamente für Beauty.
Ich habe also per mail ein kardiologisches Konsil in die Schweiz geschickt und dann Lasix 20 mg iv gegeben. D.h. ich laufe seither täglich mehrmals zur Apotheke, hole eigenhändig Lasix-Ampullen und spritze es ihr selber. Oder nerve die Krankenschwestern bis sie es gegeben haben.
All dies völlig "blind", da kein Chemie-Labor möglich ist: keine Elektrolyte, kein Krea, keine
Leberwerte. Es gibt nur Hb oder Full blood count.
Ich weiss, dass man so keine Medizin machen darf/kann. Aber die Realität hier ist anders. Und das Kind leidet schrecklich. Es keucht. Es erstickt in sich selbst. Nachdem ich Beauty kennengelernt hatte, bin ich das erste Mal seit ich in Kashikishi bin, zu Hause aufs Bett gesessen und habe geweint. Kein Mensch sollte so leiden müssen.
Ich weiss, dass das Kind eine Herzoperation bräuchte und irgendwann bald sterben wird. Aber bisher hat es sich auch unter den miseraben Bedingungen hier immer erholt. Nun und deswegen schaue ich jetzt 2 - 3 x täglich nach ihr.
Es ging ihr heute eher wieder etwas schlechter, sie hatte - zu der Atemnot dazu -  starke Nackenschmerzen, whs weil sie wieder eine Nacht auf dem Stuhl sitzend verbrachte. An ihrer Pritsche lässt sich der Kopfteil nicht hochstellen und so kann man mit Atemnot nicht schlafen.
Also haben Nina, Radet, der erfahrenste und sehr nette Arzt hier und ich wenigstens eigenhändig dafür gesorgt, dass sie ein Bett mit Kopfteil bekommt.

Stationsbüro Medical Ward
(mit Medikamentenschrank - das ist ALLES an Medis, die es ausserhalb der Öffnungszeiten der Spitalapotheke an Medikamenten gibt, d.h. fast NICHTS)


So genug für heute. Ich bin zwar im Vormittag stecken geblieben und habe den brüllenden Pfarrer mit Mikrophon (Lautstärke: abhebende Boeing) vom Begräbnis noch nicht erwähnt... aber es ist dringend Schlafenszeit. Gute Nacht.

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