Montag, 29. Juli 2013

Mutomboko

Meine Zeit in Kashikishi neigt sich dem Ende zu. Die letzte Arbeitswoche ist angebrochen.
Das fühlt sich vollkommen irreal an. Und schrecklich irgendwie.

Ich freue mich auf die kommenden Ferien. Wir werden die Victoria-Falls erleben, auf dem Chobe River fahren und ins Okavango-Delta fliegen - und Afrikas Natur von seiner magischsten Seite erleben. Und dann werde ich zurückkehren in meine Heimat. Meine Heimat mit meinen Freunden, meiner Familie, meinem Leben dort wie ich es kenne und liebe. Auch dies kann ich kaum erwarten.

Und doch packt mich Wehmut, wenn ich daran denke hier wegzugehen. Ich werde die Herzlichkeit, Offenheit, Direktheit und Gelassenheit der Menschen sehr vermissen. Ich werde Menschen vermissen, die mir hier ans Herz gewachsen sind. Ich werde meine Arbeit im Spital vermissen, ohne Computer, ohne Administration - direkt und ausschliesslich am Patienten. Ich weiss, der Medical ward wird gepackt voll werden, wenn ich von hier weggehe. So auch  die Maternity von Nina.
Es bleiben im Spital lediglich zwei Ärzte zurück: Dr Radet, der nicht alles alleine leisten kann und Ndui, der kaum präsent ist. Elisias Chilambe, mein "Lieblingspfleger" hat mir erzählt, dass die Patienten im Medical ward sonst am Boden zwischen den Betten, dass sie zu zweit in einem Bett liegen, da vielleicht nur einmal pro Woche ein Arzt vorbeikommt. Und ich weiss, dass ich beispielsweise pro Woche zwischen ein bis drei akute Meningitiden (Hirnhautentzündungen) behandelt habe. Wenn die Eintrittsverordnung der clinical officers dann nicht perfekt ist oder wenn der klinische Zustand des Patienten sich verändert und sie so ein paar Tage liegen bleiben bis ein Arzt sie sich ansehen kann, ist das zu spät. Dann kommt es zum "survival of the fittest"...
Der Gedanke "meinen" ward und "meine Patienten" im Stich zu lassen ist schlimm. Ich weiss, dass Nina sich ebenso fühlt.

Die letzten Tage sind voll gefüllt. Gestern hat sich Dr Radet von uns verabschiedet, da er verreisen wird. Wir haben lange im swiss house bei Kerzenschein gesessen und geredet. Nina und ich haben ihn sehr gerne und schätzen ihn als Arztpersönlichkeit. Man spürt, dass er sich den Patienten verpflichtet fühlt. Ich kann seine Menschlichkeit, Geduld und Sorgfalt in DEN Umständen, die ich hier erlebt habe nur bewundern. Wir waren traurig uns zu verabschieden.

Ansonsten bereiten wir unsere Fare Well Party vor. Wir haben am kommenden Samstag etwa 40 Menschen zum Barbecue und Tanz (ich HOFFE es hat Strom!) ins swiss house eingeladen. Unsere Hausangestellten, eine High School Lehrerin, Fahrer vom Spital, Putzfrauen, Pfleger, Krankenschwestern, Nonnen, Schüler, Ärzte, clincal officers, Laborleute - einfach Menschen, die wir mögen.... Da gibt es einiges zu organisieren, was in Afrika eine besondere Herausforderung wird.. Tatkräftig werden wir von Mr Chirwa, dem Apotheker und Innocent, dem Röntgenassistenten unterstützt. Sie haben sich zu unserem Organisationskomitee erkoren und wir sind froh darüber.

Auch das letzte Wochenende war übervoll von Erlebnissen. Ich werde nur einen Bruchteil davon aufschreiben können.
Am Samstag waren wir an der Mutomboko ceremony. Das ist eine der fünf grössten traditionellen ceremonys von Zambia und spielt sich nur eine Wegstunde von Kashikishi ab. Wir wurden von Sr Regina eingeladen mitzufahren. Als wir in Kasembe ankamen, war alles voller Autos und Menschen, wie es sich für ein Volksfest gehört. Es gab sogar einige Musungus (Weisse) zu bestaunen. Mit dem "Musungu-Bonus" und einer goldenen Visitenkarte vom cultural affairs officer, den Nina und ich in Kashikishi kennengelernt hatten, konnten wir uns Zutritt zum palace-Gelände verschaffen. Wir standen in einem grossen Garten mit vielen anderen Menschen und warteten. Warten ist immer gross angesagt in Afrika. Geduldig Warten - das können die Menschen hier bewundernswert.

The palace
Nach etwa ein bis zwei Stunden wurde die Menge unruhig und scharte sich vor dem palace - einem grösseren, zweistöckigen weiss gestrichenen Haus - zusammen. Wir konnten nichts sehen. His Royal Highness, der Chief war offensichtlich herausgetreten und bewegte sich Richtung mehreren shrines im Palastgarten und Richtung Fluss - wir konnten immer noch nichts sehen. Dafür erschreckten wir bis ins Mark, wenn ein "body guard" mit einer alten Schrotflinte Schüsse in die Luft abgab. Der Mob bewegte sich geschlossen weiter, den Chief im Zentrum, bewacht von der Army. Nina und ich hatten mittlerweile die Anderen aus den Augen verloren und folgten der Menge mit Abstand. Es war sehr sehr staubig - wir sahen immer noch nichts. Am Fluss verhalf uns der Musungu Bonus und das goldene Kärtchen zum Durchtritt zwischen Soldaten, die als menschliche Kette einen Ring ums Zentrum gebildet hatten. Der Chief sass am Fluss, weissgewandet und warf Korn und andere Lebensmittel in den Fluss. Man hatte uns gesagt, dies sei um die Seelen der Ertrunkenen zu füttern. Und dafür um Fruchtbarkeit fürs Land zu erhalten.
Plötzlich standen Nina und ich mitten im Zentrum. In the eye of the tiger - sozusagen. Menschenmassen um uns herum. Der chief beendete sein Ritual und wurde auf die Schultern eines starken Mannes gehoben - er durfte nun (theoretisch wie sich später zeigte) bis zum nächsten Regen, die Erde nicht mehr mit Füssen betreten. Der Chief sah beeindruckend aus in seinen weissen Gewändern, fremdartig anzusehendem Ornat und Wedel und bewegte sich tranceartig. Typisch für Afrika gab es Brüche in dem Bild - wie zum Beispiel des Chefs dreckige, weisse Nikesöckchen. Und der Mann, der ihn auf den Schultern trug, hatte ein T-Shirt mit einem übergrossen Garfield auf dem Rücken - this is Africa.

Der Chief 
Wir trabten zwei Meter von Chief entfernt, eingekeilt zwischen Army und singender Menge Richtung palace zurück. Es war leicht beängstigend und beeindruckend. Wir hielten uns an den Händen und sangen mit. So schafften wir es knapp hinter dem chief wieder in den Palastgarten hineinzuschlüpfen.
Es glich ein bisschen einem Spiessrutenlauf.

Der Chief ganz nahe...
Daraufhin spielte eine Kapelle, die Entlehnungen an koloniale Armeemusik machte und wir sahen eine Gruppe vor dem chief, der in weissem Hemd und westlicher Kleidung vor den Palast getreten war, tanzen. Die Menschen knieten vor ihm nieder und klatschten drei Mal in die Hände, wenn sie ihn ansprachen.
Nina und ich wurden derweil von einem Mitglied der royal family zum Scheisshäuschen im Garten geführt. Toilettengänge können anspruchsvoll sein in Afrika...

Der Chief hält Hof
Schliesslich verlief sich die Menge im Garten - es war lunch time. Plötzlich wurden wir von father Daniel angesprochen. Er ist ein junger katholischer Pfarrer, den wir in Kahiskishi zum Nachbarn hatten.
Vor einer Woche war er in der Nähe von Mansa vom Bischof zum Priester geweiht worden.  Nun wurde für den kommenden Sonntag ein grosses Fest für ihn in der katholischen Kirche in Kashikshi organisiert.
Nina und ich verbrachten die nächsten Stunden in angenehmer Gesellschaft von Daniel und Kenneth, einem guten Freund von ihm - ebenfalls frischgebackener Priester. Zuerst machten wir uns auf der Hauptstrasse auf die Suche nach etwas zum Essen, das für uns essbar aussah. Ein afrikanisches Volksfest macht einem schweizer musungu doch etwas Hygienesorgen, was das Essen anbelangt.
Daraufhin war Warten, Warten, Warten angesagt.

Das Volksfest

Und jetzt muss ich unterbrechen. Es ist sieben Uhr morgens, Nina ist aufgestanden und auch ich werde meinen Tag beginnen. Ich hoffe, ich kann noch weiterschreiben. Da die Internetverbindung bald schwierig werden wird (unser Monatsvertrag läuft aus), ist es nicht ganz sicher.


Es ist der 1. August.
In der Schweiz gerade Feuerwerk.

Ich nehme den roten Faden meiner Geschichte wieder auf:

Nina, Daniel, Kenneth und ich fanden schliesslich einen Stand mit einigermassen einladendem Afrika-Döner. Er war heiss und gut, die Pommes frites verschenkten wir an ein Kind.
Danach besetzten wir mit viel Glück ein Holzbänkchen im Schatten vor einer Bar und erzählten uns Geschichten aus unserem Leben. Irgendwann zeigte ich ihnen Fotos vom handy aus einem anderen Leben in Europa. Daniel besah mich und rief aus: "You have been fat then!" Nina und ich mussten losprusten. Wir erklärten den verblüfften Patres, dass sie dies einer Musungu-Frau nicht sagen sollten, wenn sie nicht beleidigend sein wollten. Sie fielen aus allen Wolken. Father Daniel erklärte mir, dass in Zambia an einer Frau schon was dran sein muss, damit sie als hübsch angesehen wird.

Unter solch angeregten Gesprächen über kulturelle Differenzen wurde es immer später. Es war heiss, voll und staubig. Wir waren müde.
Schliesslich wurde der Chief von zwei Dutzend rotgewandeten Männern in einer roten Sänfte im Sturmschritt durch die Menge getragen. Das Spektakel dauerte etwa zwei Minuten - dann war es vorbei.
Wir wanderten die Hauptstrasse hinunter Richtung "Arena" und wichen den zunehmend betrunkenen Männern im Slalom aus.


Eingang zur Arena
Schliesslich erschwatzten wir uns einen VIP Zutritt in die Arena. Es war gestossen voll und das Mikrophon schepperte von den Durchsagen multipler Minister, Politiker, Grossredner, übergweichtiger Kravattenträger. Ich glaube, die Spezies klingt weltweit GENAU GLEICH. Und alle Menschen, die ich kenne stellen auf Durchzug oder schlafen gleich ein.  So war es auch hier. Viel Bla Bla. Dann kamen die Geschenke für den Chief.
Zwei Wagenladungen voll mit Flachbildschirmen, Kühlschränken, Matratzen, Zellophanverpacken-Riesenschachteln,....


Einer der Tracks wird beladen

Schliesslich kam endlich der kulturelle Teil zum Zug. Er war enttäuschend. Ein paar hüftenschwingende Damen verschwanden fast unter Mikrophongeschepper und -gebrülle, sowie Werbeplakaten. Dann schwangen die kleine Prinzessin und der Prinz für kurze Minuten ihre Beine und schliesslich war der Chief selbst auf der "Tanzfläche" um sogleich in seiner Sänfte zu entfleuchen.
Das wars.
Mutomboko war over.

Ich bin froh, es erlebt zu haben. Der Beginn am Fluss liess einen schwachen Anklang des alten, mächtigen Afrika ahnen - alles weitere war Volksfest mit Bier und Kommerzveranstaltung mit politischen Werbeeinlagen.
Auch this is Africa.
Die Zambier selbst sagen ganz entspannt: "Oh, I have been to Mutomboko. It was boring."
Das liebe ich an den Menschen hier. Sie sind relaxt und manchmal entwaffnend direkt.


The dance of the ladies

Dienstag, 23. Juli 2013

Mansa - adventure trip to the big City

Nina und ich hatten beschlossen ein Wochenende in Mansa zu verbringen. Mansa liegt 244 km von Kashikishi entfernt und ist die nächst grössere Stadt der Umgebung. Mit dem Bus dauert es 4 Stunden, mit dem Privatauto 2.5 Stunden um sie zu erreichen. Viele Spitalangestellte fahren regelmässig nach Mansa um dort Lebensmittel einkaufen zu gehen.
Für die meisten meiner Patienten aber ist eine Reise nach Mansa - selbst wenn es um Leben und Tod geht - unerschwinglich. Die Fahrt mit dem  Bus hin und zurück kostet 140 Kwacha. Ein einfacher Arbeiter verdient um 300 Kwacha - 400 Kwacha pro Monat. Das sind etwa 70 - 90 CHF. Ein Bauer oder Fischer verdient gar kein Geld. Dort gibt es das was die Erde einem bietet und den Tauschhandel.

Die Hinfahrt hatte Nina mit einer sehr netten Hebamme und ihrem Gatten organisiert. Ursprünglich wollten sie um 5h morgens abfahren... Auf unser Entsetzen hin, haben sie sich bereit erklärt uns doch erst um 6h30 abholen zu kommen und waren dann - sehr unafrikanisch - 5 Minuten vor der Zeit vor unserem Tor. Die Sonne war eben aufgestiegen und wir setzten uns, mit Gospelsongs von Bette Midler beschallt, hinter dem gepflegten Pärchen in einen perfekt sauberen Grossraum-Van. Es fühlte sich ungewohnt an - wie an einem Ausflug irgendwo Europa oder USA. Alleine die Aussicht aus den Fenstern zeigte mir, wo ich war: im ländlichen Zambia. Die Strasse - wie alle zambischen Strassen von den Chinesen erbaut - war gut und schnurgerade über flaches, weites Land. Es gab kaum andere Autos dafür grotesk beladene Fahrräder und Horden von Kindern in Schuluniformen. Die Sonne erhob sich majestätisch über das weite Land mit seiner braunroten Erde. Entlang der grassgesäumten Strasse vereinzelte Hüttchen mit Strohdach, umgeben von kleinen Feldern, häufig brandgerodet und vielen lichten Wäldchen. Das Land war - vom sauberen Auto aus betrachtet - malerisch und wunderschön.
Wir genossen die Fahrt und die Gespräche mit dem Ehepaar waren aufschlussreich. Sie untermauerten unser Gefühl, dass die Führung des Spitals durch die katholischen Nonnen schwer durchschaubare Seiten aufwies. Beide Ehepartner - er war auch Hebamme und Lehrer an der Schule in Kashikishi - hatten zuvor an staatlichen Spitälern auch auf dem Land gearbeitet. Und dort war z.B. der Nachschub an Material bei weitem nicht so unregelmässig gewesen und lebensrettende Patientenverlegungen waren nicht daran gescheitert, dass das Geld für das Benzin nicht vorhanden zu sein schien....
Unter solch angeregter Konversation wurden wir auf einmal von einer Polizistin vor einer Strassensperre angehalten. Die Schweizerin in mir fragte sich sofort was nun für Kontrollen erfolgen würden??? Die Polizistin hatte die Strassensperre lediglich errichtet um hitchhiking zu machen und fragte höflich, ob sie und ihre Kollegin ein Stück weit zum nächsten Polizeiposten mitgenommen werden könnten. Nina und ich erfuhren, dass die meisten Polizisten über keinen Dienstwagen verfügten - worauf ich mich fragte, wie sie denn gedachten einem Räuber nachzujagen??
So verging die Reise wie im Fluge und wir näherten uns Mansa. Ich hatte versucht mir keine zu grossen Hoffnungen auf Zivilisation zu machen. Deswegen war ich mit Schlafsack, Duschtuch und sonstigen Materialien bewehrt ... um gegebenenfalls dreckstarrende backpacker-Zimmer zu überleben.
Umso überraschter war ich bei Ankunft in Mansa eine echte Ortschaft zu finden: mit richtigen Häusern,  kreuzenden Strassen mit Autos, sogar einer Bank und einer grosse Kirche - wobei man Kirchen am ehesten überall auffinden kann. Und als wir dann noch ins Teja Hotel gefahren wurden, waren Nina und ich selig.

Fortsetzung folgt. Ich muss schlafen gehn. Es ist 23h und ich bin hundemüde.


Es ist der 24.07.13 abends um 23h. Eigentlich hatte ich heute Abend vorgehabt von unserem Mansa Trip weiterzuerzählen, aber der Tag im Spital war verrückt gewesen; ich bin erst jetzt geduscht (d.h. Kübel über Kopf) und habe Feierabend. Es war wieder mal so viel, dass ich nicht weiss, wo mir der Kopf steht. Vielleicht hilft es, wenn ich darüber schreibe...

Der Morgen begann mit einer Vistite bei Petronella und ihrem Mann. Petronnela ist eine Privatpatientin im Einzelzimmer (200 Kwacha aufpreis pro Nacht) mit HIV und einer Enzephalopathie. Sie und ihr Mann sind nicht einfach im Umgang; zwar sehr höflich, aber doch fordernd und zeitintensiv. Fast wie in der Schweiz...
Dann habe ich kurz nach einem Krankenpfleger, namens Mr Sampa gesehen, der in der Nacht mit Bauchschmerzen als Patient eingeliefert worden war. Es ging ihm wieder gut - er konnte entlassen werden. Ich ergriff die Gelegenheit mit ihm über Bernard, einen meiner HIV- und Tuberkulose-Patienten zu sprechen. Bernard ist ein Häftling aus einem umliegenden Gefängnis. Als er bei mir eingeliefert wurde, wusste ich nicht, ob er überleben würde. Mittlerweile hatte er sich aber stabilisiert. Gestern hatte ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne wieder zurück ins Gefängnis zu gehen? Bernard scheint ein netter und zurückhaltender Mensch zu sein. Deshalb sagte er nur, dass er sich dort whs bald wieder verschlechtern würde. Also fragte ich mehr über die Umstände dort und erfuhr, dass etwa 100 Gefangene (hundert!) in einem Raum, deutlich kleiner als der Male Ward zusammengepfercht schlafen müssen. Sie schlafen stehend aneinander gelehnt, da es keinen Platz zum Sitzen geschweige denn Liegen gibt... Da sagte ich zu Bernard "I will keep you in hospital!"
Bernard war seit 8 Monaten im Gefängnis gewesen - ohne verurteilt worden zu sein. Sein Onkel hatte ihn angeklagt, weil Bernard ihn scheinbar der Hexerei bezichtigt hatte und ein Messer bei Bernard gefunden worden sei - der Onkel habe daraufhin Angst gehabt, dass Bernard ihm etwas habe antun wollen. Dann war der Onkel verschwunden und man habe den Fall deswegen nicht eröffnen können, also habe Bernard im Gefängnis warten müssen.... Soweit Bernards Geschichte.

Da Mr Sampa nicht nur Krankenpfleger, sondern auch Polizist ist und sich scheinbar schon um Bernards Fall gekümmert hatte, wollte ich mehr erfahren. Mr Sampa meinte, dass der Fall nicht habe eröffnet werden können, da das Gerichtsgebäude renoviert worden war. Nun sei es aber seit einer Woche wieder geöffnet und Fälle könnten erneut bearbeitet werden... Und der besagte Onkel sei schon einige Male Bernard besuchen gekommen. Mr Sampa empfahl mir mit dem Onkel zu sprechen damit dieser seine Anklage fallen lassen würde. Dann könne Bernard frei kommen.
Soweit Mr Sampas Geschichte.
Ich warte jetzt also auf den Besuch des Onkels. Mr Sampa wollte sich darum kümmern, dass dieser sich mit mir trifft..... This is Africa. Manchmal ziemlich undurchschaubar, skurril und unverständlich für eine arme Europäerin.

Dann bin ich weiter in den childerns ward - dort habe ich ab und zu auch Patienten, da eine Nicht-Pädiaterin besser ist als gar kein Arzt. Ich habe Ruth, 7 Jahre besucht. Sie hat whs ein Guillan-Barré Syndrom - das ist eine autoimmune Nervenerkrankung mit aufsteigenden Lähmungen bei voll erhaltenem Bewusstsein. Ruthy sitzt im childrens ward auf ihrem Schragen (ein ausrangierter Gynäkologenstuhl), der Vater hält ihr den Kopf, da sie ihn nicht mehr selber halten kann. Arme und Beine sind schon seit etwa 2 Wochen gelähmt. Ich habe mir Gedanken gemacht, was ich hier in Kashikishi für sie tun kann - in der Schweiz wäre sie auf Intensivstation mit Plasmapherese und Immunglobulinen i.v. .... Gott sei Dank sind die Lähmungen wieder absteigend, sie kann wieder einigermassen schlucken und sprechen. Es scheint das Gefährlichste überwunden. Allerdings müssen Komplikationen verhindert werden. Also erkläre ich den Eltern und der kleinen Patientin die Situation, erkläre Physiotherapeutische Massnahmen damit Thrombosen und Kontrakturen vorgebeugt wird. Ich gebe Arnika Salbe, zeige wie man sie einmassiert, gebe Skorodit p.o. und 50 Kwacha, damit die Eltern  anderes Essen für Ruth kaufen können als nur Nshima und Bohnen. Der Vater hatte mich um etwas Geld dafür gebeten. Das geschieht fast nie hier. Die Menschen sind sehr zurückhaltend, man wird kaum angebettelt. Also entscheide ich mich hier etwas zu geben. Morgen werde ich wieder nach ihr schauen. Sie ist ein wunderhübsches Mädchen.
Dann habe ich ein anderes auch etwa 7 jähriges Kind besucht. Dieses hatte ich ebenfalls gestern kennengelernt. Und es war etwas von Schrecklichsten, das ich je gesehen habe. Das Kind sah aus, wie wenn es bei lebendigem Leib am verwesen sei. Mit ausgefallenen Haaren, aufgedunsenen Gliedern und einer Dermatitis (Hautentzündung) am ganzen Köper: eine schwere Mangelernährung (whs Marasmus) aufgrund von Armut. Der Nutritionist (Ernährungsspezialist) wollte es mit Spezialmilch versorgen und ich kam nachkontrollieren, ob es geklappt hatte. Es schien so zu sein. Das Kind schrie leise, fast unmenschliche Laute, als ich die Decke vom Kopf wegzog. Der Vater sagte, es habe kalt - was gut sein kann. Ich fragte den Vater, ob er verstanden hatte, warum sein Kind so krank geworden sei. Er hatte nicht. Also erklärte ich noch einmal - denn das haben wir gestern schon - , dass es aufgrund der Ernährung mit nur Kassava Nshima krank geworden sei. Ihm  zu Füssen stand ein anderes Kind, etwa 2 Jahre alt, pinkelte auf den Boden und begann mit beiden Füsschen darin herumzuhüpfen, dass es nur so spritzte. Es sah ebenfalls Mangelernährt aus...

Dann sprach mich Nina durch ein Fenster an. Sie bat mich ihr bei einer Sectio (Kaiserschnitt) zu helfen. Eine Patientin im 9 Monat schwanger - wobei man hier nie so genau weiss, wie weit die Schwangerschaft wirklich ist - hatte einen Krampfanfall gehabt. Damit war klar, dass es sich um eine in der Geburtshilfe gefürchtete Komplikation - eine Ecclampsie (Schwangerschaftsvergiftung) handelte. Die letzten beiden Kinder der Patientin waren an derselben Krankheit verstorben.  Die einzige Therapie  der Ecclampsie ist die sofortige Entbindung.
Also half ich Nina im Ops. Alles ging gut - Nina ist mittlerweile sehr erfahren darin mit unbrauchbaren Nahtmaterialien, unausgebildeten OP-Pflegern, stumpfen Scheren, unerfahrenen Assistenten (ich), fehlender Narkose ("die Patientin bewegt sich immer noch!"), etc etc umzugehen.

Mittagessen war angesagt. Matilda hatte Nshima, Ifisashi - eine Art selbstgemachtes Ketchup, gekochte Blätter und vier halbe Würstchen vorbereitet. Ein Festessen.
Zum Dessert: Tee trinken, ein Stückchen Schokolade und plaudern... ein festes Ritual.

Nachmittags zurück ins Spital.
Zuerst habe ich einen jungen Mann, James (22 J) entlassen. Er war eigentlich mit einer Malaria gekommen. Das ist hier ungefähr so spannend wie eine Grippe in Europa und ich behandle es oft mehrmals täglich - bei Erwachsenen meist ohne Komplikationen. Aber ich hatte bemerkt, dass James einen viel zu hohen Blutdruck für sein Alter - und überhaupt - hatte. So habe ich weitergeforscht und ein Herzgeräusch gefunden. Auch das danach verordnete Rx Thorax war nicht ganz unauffällig (fraglich basoapikale Umverteilung). Ich habe den Patienten aufgeklärt, ihm Antihypertensiva verordnet und ein referral sheet für ein grösseres Spital mit hoffentlich einer Kardiologie geschrieben.
Dann habe ich einen Ultraschall bei einer Patientin mit abdominalen und vaginalen Beschwerden unternommen - vor einigen Wochen hatte der Röntgenassistent bei ihr einen Ultraschall gemacht und danach geschrieben: "Verdacht auf Cervixcarcinom"
Dem war bisher kein Mensch nachgegangen...
Das Problem ist nur: Mit DIESEM Ultraschallgerät wirklich gute Bilder zu machen, ist hoffnungslos. Ich muss die Patientin morgen mit Nina besprechen.
Als ich vom Ultraschall zurück in meinen Ward bin, war der Teufel los. Ein junger Mann sass kotzend im Rollstuhl im Duty room - das ist ein relativ grosses Dienstbüro der Pflege, in dem man auch eine Erstversorgung der Patienten unternimmt. Es wurde ihm Milch eingeflösst. Als ich Elisias - meinen Lieblingspfleger - fragte, was denn los sei, erhielt ich zur Antwort, dass eine ganze Familie sich vergiftet hatte. Es dauerte eine Weile bis ich mir Überblick verschaffen konnte. Scheinbar hatte eine Familie beim Mittagessen bei ihrem Nshima nicht die richtige Konsistenz vorgefunden. Und so hatten sie noch etwas Pulver beigefügt. Leider war es nicht Inshima-Pulver, sondern ein Pestizid gewesen. Whs ein organischer Phosphatester - oder so. Der Vater und ein Sohn waren unterwegs gestorben. Ein fünfjähriges Kind lag im childrens ward, die Mutter im female ward und der 16-Jährige kotzend im duty room. Kotzend war gut! - in dieser Situation. Ich schickte Lea - die Unterassistentin - los nach Hause um alle meine Aktivkohle zu bringen. Dann sah ich nach der Mutter. Sie war nicht mehr bei Bewusstsein und zeigte cerebrale Symptome. Eine kleine Infusion tröpfelte langsam vor sich hin, sonst tat niemand etwas.
Ich organisierte Pfleger, die bei allen Patienten einen weiteren venösen Zugang legten und von beiden Seiten Infusion hineinlaufen liessen. Kim kümmerte sich um das Kind, Lea um den Jungen - Kohletabletten fütternd. Der neue  clinical officer namens Rodrigue spritzte Atropin. Das kannte ich nicht als Therapie.
Als ich das Gefühl hatte nicht mehr viel machen zu können, entliess ich einige Patienten:
Eine alte Dame mit Lumbago. Eine junge Patientin mit HIV und Pneumonie. Ein mittelalter Patient mit einer Gastroenteritis. Eine Frau mit einer schweren, chronischen Augenentzündung - ich vermutete ein Trachom (als Nicht-Tropenärztin eine Herausforderung). Und weiss nicht, wer noch alles. Und alle brauchten Beratung, Medikamente, Entscheidungen.
In der Zwischenzeit kam Kim und teilte mir mit, dass das kleine Kind gestorben war. Der Junge schien stabil zu sein, er hatte als einziger auch erbrechen und Kohle essen können. Die Mutter machte mir Sorgen.

Ich torkelte nach Hause. Ass etwas zusammen mit Nina, Lea und Kim. Wir waren alle aufgekratzt und gleichzeitig erschöpft und blödelten gerade deshalb herum. Manchmal ist Elend und Tod nur noch so zu ertragen.
Dann schaute ich in meinem Wälzer "Notfälle Innere Medizin" nach. Ich fand eine Vergiftung mit Pestiziden, deren Symptome passten. Und als Erstmassnahmen Aktivkohle, intensive Hydrierung und Atropin. Rodrigue hatte recht gehabt mit dem Atropin! Da er mittlerweile Nachbar von uns war, hatte ich ihn schnell gefunden. Die Menge an Atropin, die er gespritzt hatte, war gemäss meinem Buch sehr klein gewesen, da er nicht mehr Atropin im Medical ward gefunden hatte. Ich wusste, dass er als clinical officer (kein Arzt) und frisch angekommen, nicht sehr viele Möglichkeiten hatte.
Also stülpte ich mir einen Kittel über die Trainerhose und stapfte mit Rodrigue zurück ins Spital. Ich liess den Apotheker "on call" rufen - damit er die Apotheke aufschloss und Atropin herausgeben konnte. Gleichzeitig lief ich in den OP Trakt und konnte siegreich mit einer Schachtel Atropin zurückkommen. Wir spritzten dem Jungen 2 Ampullen und kümmerten uns dann hauptsächlich um die Mutter. Sie war bewusstlos, krampfend und lag in mindestens 2-3 Litern Urin gemischt mit Kot auf der Plastikmatraze.
Leider hatte Harriet als Krankenschwester Dienst.
Harriet sieht entzückend aus und ist sehr charmant - aber arbeiten oder gar noch Patienten anfassen, das ist grundsätzlich NICHTS für sie. Da ich sie mittlerweile gut genug kannte, versuchte ich gar nicht erst Hilfe bei ihr zu bekommen. Ich zog mir Plastikhandschuhe über, ging ins Putzräumchen, holte Fixleintücher und begann damit die durchtränkte Patientin wenn schon nicht sauber, so doch wenigstens trocken zu kriegen. Dazwischen spritze ich immer wieder Atropin und kontrollierte die Miose der Pupillen. Nach etwa 45 Minuten und 11 Ampullen Atropin wachte die Patientin auf einmal auf und begann wie ein Wasserfall zu reden! In der ganzen unglaublichen Tragik, lag eine Komik in der Art wie die Patientin wirklich wie ein Wasserfall zu reden begann. Rodrigue hatte mich die ganze Zeit tatkräftig, kompetent und angenehm unterstützt. Wir entspannten uns, warteten noch eine Weile und etwas Atropin ab und schlichen dann nach Hause.

Ein weiterer Tag im St. Pauls Hospital in Kashikshi - von Dr. Jana (so werde ich hier genannt) :-)


Montag, 15. Juli 2013

Kirchgang

Alle Menschen hier gehen in die Kirche. Alle. Ohne Ausnahme. Jede Woche!
Die Kirche ist sehr wichtig! Identitätsgebend sozusagen. Oder besser gesagt die Kirchen. Es gibt unzählige Kirchen in Kashikishi: katholische, protestantische, anglikanische, Zeugen Jehovas, adventist church, 7th day durch, baptist, holy ghost, etc, etc.
Nach einigen Wochen haben Nina und ich uns zum ersten Kirchgang durchgerungen. Wir gehen seither in die catholic church. Sie steht zwischen unserem swiss house und dem Spital. Wir müssen sonntags also nur zwei Mal umfallen und sind schon da. Es gibt drei Messen: um 6h30 die englische Messe und um 10h die Bemba-Messe, dazwischen die Kindermesse. Nina und ich haben uns für die Bemba-Messe entschieden. Der Zeitpunkt erscheint uns christlicher und sie singen viel mehr. Dafür dauert sie geschlagene zweieinhalb Sunden (2.5!) bis um halb Eins mittags....
Mittlerweile sind wir erprobte Kirchgängerinnen und integriert in der community (mehrmals schon wurde wir Musungus aufgerufen, mussten uns erheben und wurden herzlich begrüsst). Wir ziehen uns einen Citenge oder ein Röckchen über - keine Frau geht in Hosen irgendwohin, geschweige denn in die Kirche-, stecken uns ein paar Kwacha zum Spenden ein und setzen uns auf die richtige Seite des Kirchenschiffs - dorthin wo die Frauen und Kinder sind. Man hat uns zwar auch schon in Hosen, zu spät und irgendwo zwischen den Männern sitzend angetroffen, aber als Musungus wird uns vieles verziehen...


Mädchen auf dem Kirchplatz nach der Messe



Die Messe ist schön. Ich mag sie. Die Kirche ist gepackt voll, viele Menschen stehen draussen und warten auf Einlass in einer der Pausen. Es sind Menschen aller Altersstufen, viele Kinder darunter. Kinder im Wickeltuch am Schlafen, Kinder beim gestillt werden, Kinder mit Lollipop, Kinder am Spielen zwischen den Bänken..... Und man hört kein Weinen oder Quengeln. Immer wieder äusserst erstaunlich für mich! Alle Frauen, Männer und Kinder sind schön anzuschauen im Sonntagsstaat mit kunstvollen Frisuren, den besten Kleidern und Schuhen. Die Predigt dauert manchmal lange und ich verstehe kein Wort, da alles auf Bemba ist. Ich beobachte derweil die Menschen, fühle die Stimmung, hänge meinen Gedanken nach, bete, träume, werde ruhig. Vor und nach der Predigt wird viel, ausgiebig und laut gesungen. Die Kirche bebt. Es hat einen Chor - begleitet entweder von Trommeln oder Trommeln und E-Gitarre. Es ist ein kraftvoller Wechselgesang und ich betrachte die schwebenden Hände des Dirigenten. Afrikas Kraft und Leben strömen aus dem Gesang. Pure Freude am Leben. Alle bewegen sich im Rhythmus der Musik. Es ist wichtig für mich den Kontrast dieses Gesanges zum Tod und der Not im Spital zu erleben. Vor allem aber ist es schön!
Dann kommen die kleinen Mädchen in den weissen Kleidchen und Söckchen den Mittelgang hinuntergeschwebt. Es ist ein gemessener Tanz mit klaren Schritten und Armen in der Luft. Sie üben ihn am Samstag vor der Kirche. Die kleinen Mädchen stehen vorne, die grösseren bilden den Schluss. Alle sind ernst und feierlich. Aber wer kleine Mädchen hat tanzen gesehen, weiss, dass sie aussehen wie schwebende Federn.
Ich mag die Messe in Kashikishi. Es ist einmalig diese Stimmung, Innigkeit, Selbstverständlichkeit und Religiosität zu erleben. Es ist einmalig in die gebündelte Lebensfreude und Kraft der Menschen einzutauchen.
Die Kirche leert sich nach dem Sonntagsgottesdienst - in der Mitte ein paar der weissen Mädchen

Freitag, 12. Juli 2013

Heute

Liebe Freunde

Lange habe ich mich nicht gemeldet - manchmal überflutet mich das Leben hier mit seinen Eindrücken, Abdrücken, Ereignissen, Gerüchen, Gesprächen, Klängen, Notfällen, Zufällen, Unfällen und dann bleibt abends keine Kraft mehr zum schreiben.
An einem einzigen Tag scheint sich mehr zu ereignen als an einem ganzen Monat andernorts. Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage, aber alle sind von einer unglaublichen Intensität an Begegnungen und Erlebnissen; alles ist stärker in Kashikishi, Zambia, sogar die Träume. Well, das stimmt nicht ganz: das einzige was wirklich, aber wirklich langweilig ist, ist das Essen. Ich interessiere mich ja grundsätzlich nicht übermässig für Essen, aber nun merke ich doch, das Essen eine nicht zu unterschätzende Rolle für physisches und seelisches Wohlbefinden spielt. Die Variabilität der Nahrungsmitteln ist gering - um es mal diplomatisch auszudrücken. Es gibt Nshima (weisser Maisbrei ) - schmeckt nacht NICHTS. Dann gibt es gekochte Blätter. Die Menschen hier scheinen herauszuschmecken, ob es gekochte Kassava-, Kürbis- oder weiss nicht was für Blätter sind. Ich merke KEINEN Unterschied. Dann gibt es Tomaten - die mag ich sowieso nicht - und es gibt Avocado (sehr lecker). Das wärs ungefähr. Ah, ich vergass Kartoffeln. An Früchten gibt es exzellente Bananen, ungeniessbar saure Mandarinen und Orangen mit tausend Kernen, Ananas und ab und zu findet man im einzigen "Supermarkt" ein paar Äpfel. Wirklich gut ist Fisch hier. Allerdings ist es ein mittleres Unternehmen von jemandem den Fisch kaufen, bringen und zubereiten zu lassen.
Nshima und Blätter
Also essen wir meist das gleiche.... Und tagträumen von Herrlichkeiten wie Käse, Fleisch, Glacé, Oliven, Vollkornbrot, Jogurt, Salat - ein Königreich für einen Salatkopf! Zusammen mit einem guten Kinofilm... herrlich....

Heute morgen waren wir im Hauptort Nchelenge um unsere Visa zu erneuern. Das müssen wir monatlich einmal machen. Afrikanische Bürokratie ist unerbittlich! Wir bestellten über die Ordensschwestern einen Driver und holperten dann ca 20 Minuten in einem Steinschlaghagel über die Strassen nach Nchelenge.
Unterwegs die pittoresk anzuschauenden braunroten Hüttchen mit Strohdächern, Ziegen kreuz und quer, Horden von Schulkindern in Uniformen, Frauen unter riesigen Gefässen mit Bergen von Fisch oder Kasava auf dem Kopf, gefährlich beladene Fahrräder, grüne Mango- und Papayabäume, Palmen und Bananenstauden. Alle Menschen winkend und starrend und lachend, wenn sie uns im Auto erblicken. Bis vor 10 Jahren gab es hier KEINE Autos und nur einmal am Tag einen Busanschluss. Bis vor 5 Jahren kein Telefonnetz. Viele Menschen, die 12 Schuljahre absolviert haben, fliessend englisch sprechen und an der school of nursery aufgenommen werden (es bewerben sich jährlich um 200 und es gibt nur 50 Plätze), haben noch nie in ihrem Leben eine Toilette benützt...
Die Visumserneuerung geht freundlich und rasch vonstatten. Danach zeigen wir Kim und Lea - unseren zwei neuen Unterassistenten aus der Schweiz - die Strandbar. Es gibt tatsächlich einen kleinen Sandstrand mit vielen Schneckenschalen, einem wildromantischen Bootswrack, weissgestrichene Holzbänkchen, Kleiderwaschenden Kindern und einer Bar, an der man scheppernden Afropop, warme Cola, eiskalte Fanta oder Mirinda bekommt. So setzen wir uns zufrieden mit unseren Zuckerbooster-Getränken auf ein Bänkchen und geniessen das Windchen und die Aussicht. Sehr schade, dass man wegen der Bilharziose nicht mal den Zeh ins Wasser stecken sollte...

The Beach!

Dann geht es weiter mit Francis unserem Driver zurück Richtung Supermarket. Wir benützen die Gelegenheit einen mittleren Grosseinkauf zu machen. Jedesmal finden wir nach angestrengtem Suchen doch noch eine Büchse oder ein Tetrapack von etwas, das wir bisher nicht kannten hier (um die Variabilität zu steigern). Z.B. Knorr Päckchensuppe...

Als wir zurück sind, finden wir Matilda im Garten an der Wäsche. Matilda kocht, putzt und wäscht für uns. Es war zwar sehr gewöhnungsbedürftig einen Hausangestellten zu haben, aber sonst würden wir mehr als die Hälfte des Arbeitstages damit verbringen von Hand unsere Wäsche in einem Zuber kalten Wassers zu waschen, unsere Abfälle im Garten zu verbrennen und verbuddeln, Kartoffeln zu schälen, Bohnen einzulegen, mit Kohle einzufeuern, Fisch zu entschuppen und auszunehmen, den rasch sich anhäufenden Staub und Erde aus dem Haus zu fegen, Wasser von der Pumpe heranzuschleppen, etc, etc.
Beim Fisch entschuppen und ausnehmen...
Matilda ist super. Sie ist die dritte Hausangestellte, die wir jetzt haben. Sie spricht zwar noch viel weniger englisch als die anderen beiden, aber sie ist sehr freundlich, ordentlich und kocht recht gut auf einem kleinen Kohlenkocher im Garten. Maxon (den ersten Hausangestellten) haben wir im halben Pensum behalten - er kümmert sich jetzt ums Wasser auffüllen und um den Garten inklusive Abfallentsorgung. das scheint er viel lieber und besser zu machen als zu putzen. Wir haben jetzt also de facto schon zwei Angestellte...

Es gibt das erste Mal seit langen Fisch. Eine Freude! Wir hatten eine Weile Versorgungsprobleme, da der Benzinherd den Geist aufgab. Es gibt zwar jetzt neu einen grossen Grill im Garten, aber nach der Arbeit immer noch mit Kohle anzufeuern, ist auf Dauer doch recht mühsam und für unsre Angestellte undurchführbar. Jetzt hat Matilda einen kleinen Kohlekocher für 30 Kwacha (6 CHF) gekauft und kocht nun wie bei sich zu Hause vor der Hütte alles mögliche darauf.

Nachmittags bin ich mit beiden Unterassistenten eine Runde im Medical ward drehen gegangen. Nur soviel (da ich jetzt schlafen gehen muss):
- Joyce, der 16jährigen AIDS Patientin, die eine Meningitis überlebt hat, geht es besser. Sie hat heute endlich ihre HIV-Medikamente erhalten. Ihr blinder Vater sitzt Tag und Nacht an ihrem Bett. Und ich bete, dass sie weiter stabil bleibt und ich sie bald entlassen kann!
- Mable geht es immer schlechter. Sie ist eine etwa 40 jährige Patientin, nicht HIV positiv, im soporösen Stadium einer Meningitis - wahrscheinlich eine miliare Tuberkulose, die ihr zu Kopf gestiegen ist. Mittlerweile ist sie nicht mehr ansprechbar und stöhnt kaum noch. Da ich keine intravenösen Anti-Tuberkulose-Medikamente habe, bin ich hilflos...
- Charity, der 25 jährigen, hübschen Patientin mit den unklaren, heftigen Bauchschmerzen geht es etwas besser - vielleicht müssen wir doch nicht öffnen um zu schauen was sich dort drin abspielt. Ich bete einfach, dass da nicht gerade ein Blinddarm platzt...
- bei Bernard, 35 J., mache ich eine Aszitespunktion und lasse etwa 5 Lt ablaufen. Ich habe keine Ahnung warum er seit etwa 1.5 Monaten plötzlich Aszites produziert - eine virale Hepatitis? eine extrapulmonale Tuberkulose? Amöben in der Leber? Darmbilharziose? unkontrollierter CMV? Ich werde es mit den beschränkten Diagnosemöglichkeiten wahrscheinlich nie herausfinden.
- James, 18 Jahre, geht es ein bisschen besser. Er ist ein hübscher Junge und spricht ein bisschen englisch. Er hat zwar immer noch Fieber, aber die Vitalwerte werden langsam besser. Er hat einen seit Monaten bestehenden chronischen Infekt mit Bauchschmerzen, Lk um 23, einer massiven Hepatosplenomegalie und whs Harnweginfekt. Eine Blasenbilharziose wurde gefunden und zwei Mal behandelt. Ohne Besserung der Symptome. Keine Ahnung was er hat. Der Röntgenassistent hat zwar einen abdominalen Schall gemacht und etwas unklares an den Nieren beschrieben... aber ich muss den Ultraschall selber machen, denn die Befunde von Innocent sind z.T recht divergierend von meinen Befunden. Da ich aber dazu bisher keine Zeit gefunden habe, schiesse James seit ein paar Tagen mit einer Tripelkombination Antibiotika i.v. ab und hoffe er rutscht nicht in eine Sepsis. Es scheint zu funktionieren (vielleicht auch TROTZ der Behandlung???)
- Bei XXX (ich hab grad seinen Namen vergessen) weiss ich gar nicht mehr was tun. Er ist etwa 40 Jahre alt, seine Arme und Beine werden immer magerer und der Bauch immer grösser. Schon als er kam, wusste ich, dass er AIDS hatte. Der positive HIV Test hat es mir nur bestätigt. Seine Zunge ist eine einzige Wunde, seine Lunge auf dem Röntgenbild sieht furchtbar aus und klingt auch so, sein Bauch hat Aszites entwickelt und er ist total verstopft und dazu magert er täglich sichtbar ab. Dabei behandle ich ihn seit über einer Woche mit hohen Dosen Antibiotika, Antipilzmitteln, Antikryptokokken, AntiTuberkulotika, AntiPneumocystis, Anti-Allem was ich zur Verfügung habe! Ich weiss wirklich nicht mehr was ich ihm noch geben soll?
- Dann ist ist da noch der Fischer. Ein neuer Patient. Haut und Knochen. Ich verordne viele Tests und ein Antibiotikum.
- Dann der Häftling. Auch ein neuer Patient. Seit einem Jahr auf HAART (HIV-Medis). Sein Röntgenbild ist fast weiss. Der Körper mager-mager-mager. Das ist gar nicht gut. PcP? Tbc? Pneumonie? Ich verordne meine Standarddiagnostik und erste Medikation.
- Dann ist da Kennedy, 17 Jahre alt. Wunderschöner, müder Junge mit einem feinen Gesicht und wohlgeformten Händen. Er bekam mit etwa 14 Jahren eine akute Leukämie. Wurde in Lusaka, am Unispital mit einer Chemotherapie behandelt. Die Leukämie scheint geheilt zu sein. Aber seit einem Jahr ist er aus einem unerfindlichen Grund querschnittgelähmt. Die Angehörigen sagen, es sei nach einer Lumbalpunktion aufgetreten. Wie ein Arzt DAS zustandebringen soll, weiss ich nicht... Villeicht war es die Chemo oder die Krankheit selbst oder tatsächlich die LP? Eins klingst so unwahrscheinlich wie das andere. Tatsache ist die Lähmng. Und seine Beine sind aufgequollen - elefantisch ödematös - und mit Blasen und Wunden übersäht. Manche Wunden (es sind Druckgeschwüre) gehen bis auf den Knochen, sie sind grünlich faulig belegt, stinken zum Himmel oder sind schwarz-nekrotisch. An Steiss, Hüften, Knien und Unterschenkeln. Es ist grotesk. Ich habe noch nie im Leben so etwas gesehen. Kennedy ist seit dieser Woche mein Patient. Als ich es das erste Mal sah, war es ein Schock! Dieser schöne, junge Mensch verfault bei lebendigem Leib. Das ist die Hölle auf Erden.
 Der Anästhesie-Trolley im OP - von so viel Material kann ich im Medical Ward nur träumen
Seit er hier ist, streite ich mich mit den Schwestern herum, dass sie sich um die Wunden kümmern sollen. Sie wollen aber, dass er auf den surgical ward verlegt wird (wo seine Lungen- und Harnwegsentzündung sicher nicht adäquat behandelt würde). Und so versorgen die Schwestern seine Wunden trotz meines täglichen Zuredens und Appelierens NICHT. (Einzig Elysias mein Lieblingspfleger hat wunchgemäss begonnen die Angehörigen zu instruieren.) Heute habe ich es nicht mehr ausgehalten Kennedy in seinen stinkenden, nassen, urindurchtränkten, dreckigen Tüchern und Decken liegen zu lassen. Also habe ich es mit Hilfe von Lea und Kim selber gemacht. Ich erspare euch die Details. Nur so viel: am Ende war ich nass geschwitzt. Ich glaube, man kann sich auch vor Ekel nass schwitzen...



Nach all diesen Patienten wollte ich gegen 18 Uhr Schluss machen. Denn es lief für die KrankenschwesternSchüler eine Abschlussparty in der Schulhalle heute. Und die wollte ich miterleben - wenigstens das Ende davon. Aber grad als ich mich verabschieden wollte, kam Kim und sagte "Du, da ist ein Kind reingebracht worden, dem geht es nicht so gut." Es war ein 7jähriger Junge, grau im Gesicht (und das will was heissen bei einem Schwarzen), ohnmächtig mit Menigismus....
Ich wusste, dass grad kein anderer Arzt im Spital war. Und ein Nicht-Pädiater ist meist immer noch besser als gar niemand.
Um es ganz massiv abzukürzen: es wurde etwa 20h bis wir aus dem Spital herauskamen.

Wir haben dann doch noch das Ende der Party erlebt. Disco!!! Und wurden sofort mitten in den fröhlichen Hexenkessel der ausgelassen tanzenden jungen Menschen hineingezogen. Die hatten einen Heidenspass an uns "Musungus" in Arbeitskleidern mit Stethoskop auf der Tanzfläche.

5 Minuten nachdem wir verschwitzt nach Hause kamen, klopfte der Pfarrer an unsere Tür. Ich hatte ihn  auf einen Abschiedstee eingeladen, da er Kashikishi bald verlassen wird. Und so sassen wir bei Kerzenschein ohne Tee (keine Elektrizität - kein warmes Wasser) mit Cookies gemütlich im Wohnzimmer und plauderten angeregt über Thomas von Aquin, Homosexualität, Polygamie, traditionelle Hochzeiten, Brautpreise, Gottesdienste, Australien, Rom, Hydrozephalus, Franziskaner und vieles mehr.

Der krönende Abschluss waren Toasts mit Avocado und etwas Reisresten.


Ein ganz normaler Tag in Kashikishi.