Montag, 29. Juli 2013

Mutomboko

Meine Zeit in Kashikishi neigt sich dem Ende zu. Die letzte Arbeitswoche ist angebrochen.
Das fühlt sich vollkommen irreal an. Und schrecklich irgendwie.

Ich freue mich auf die kommenden Ferien. Wir werden die Victoria-Falls erleben, auf dem Chobe River fahren und ins Okavango-Delta fliegen - und Afrikas Natur von seiner magischsten Seite erleben. Und dann werde ich zurückkehren in meine Heimat. Meine Heimat mit meinen Freunden, meiner Familie, meinem Leben dort wie ich es kenne und liebe. Auch dies kann ich kaum erwarten.

Und doch packt mich Wehmut, wenn ich daran denke hier wegzugehen. Ich werde die Herzlichkeit, Offenheit, Direktheit und Gelassenheit der Menschen sehr vermissen. Ich werde Menschen vermissen, die mir hier ans Herz gewachsen sind. Ich werde meine Arbeit im Spital vermissen, ohne Computer, ohne Administration - direkt und ausschliesslich am Patienten. Ich weiss, der Medical ward wird gepackt voll werden, wenn ich von hier weggehe. So auch  die Maternity von Nina.
Es bleiben im Spital lediglich zwei Ärzte zurück: Dr Radet, der nicht alles alleine leisten kann und Ndui, der kaum präsent ist. Elisias Chilambe, mein "Lieblingspfleger" hat mir erzählt, dass die Patienten im Medical ward sonst am Boden zwischen den Betten, dass sie zu zweit in einem Bett liegen, da vielleicht nur einmal pro Woche ein Arzt vorbeikommt. Und ich weiss, dass ich beispielsweise pro Woche zwischen ein bis drei akute Meningitiden (Hirnhautentzündungen) behandelt habe. Wenn die Eintrittsverordnung der clinical officers dann nicht perfekt ist oder wenn der klinische Zustand des Patienten sich verändert und sie so ein paar Tage liegen bleiben bis ein Arzt sie sich ansehen kann, ist das zu spät. Dann kommt es zum "survival of the fittest"...
Der Gedanke "meinen" ward und "meine Patienten" im Stich zu lassen ist schlimm. Ich weiss, dass Nina sich ebenso fühlt.

Die letzten Tage sind voll gefüllt. Gestern hat sich Dr Radet von uns verabschiedet, da er verreisen wird. Wir haben lange im swiss house bei Kerzenschein gesessen und geredet. Nina und ich haben ihn sehr gerne und schätzen ihn als Arztpersönlichkeit. Man spürt, dass er sich den Patienten verpflichtet fühlt. Ich kann seine Menschlichkeit, Geduld und Sorgfalt in DEN Umständen, die ich hier erlebt habe nur bewundern. Wir waren traurig uns zu verabschieden.

Ansonsten bereiten wir unsere Fare Well Party vor. Wir haben am kommenden Samstag etwa 40 Menschen zum Barbecue und Tanz (ich HOFFE es hat Strom!) ins swiss house eingeladen. Unsere Hausangestellten, eine High School Lehrerin, Fahrer vom Spital, Putzfrauen, Pfleger, Krankenschwestern, Nonnen, Schüler, Ärzte, clincal officers, Laborleute - einfach Menschen, die wir mögen.... Da gibt es einiges zu organisieren, was in Afrika eine besondere Herausforderung wird.. Tatkräftig werden wir von Mr Chirwa, dem Apotheker und Innocent, dem Röntgenassistenten unterstützt. Sie haben sich zu unserem Organisationskomitee erkoren und wir sind froh darüber.

Auch das letzte Wochenende war übervoll von Erlebnissen. Ich werde nur einen Bruchteil davon aufschreiben können.
Am Samstag waren wir an der Mutomboko ceremony. Das ist eine der fünf grössten traditionellen ceremonys von Zambia und spielt sich nur eine Wegstunde von Kashikishi ab. Wir wurden von Sr Regina eingeladen mitzufahren. Als wir in Kasembe ankamen, war alles voller Autos und Menschen, wie es sich für ein Volksfest gehört. Es gab sogar einige Musungus (Weisse) zu bestaunen. Mit dem "Musungu-Bonus" und einer goldenen Visitenkarte vom cultural affairs officer, den Nina und ich in Kashikishi kennengelernt hatten, konnten wir uns Zutritt zum palace-Gelände verschaffen. Wir standen in einem grossen Garten mit vielen anderen Menschen und warteten. Warten ist immer gross angesagt in Afrika. Geduldig Warten - das können die Menschen hier bewundernswert.

The palace
Nach etwa ein bis zwei Stunden wurde die Menge unruhig und scharte sich vor dem palace - einem grösseren, zweistöckigen weiss gestrichenen Haus - zusammen. Wir konnten nichts sehen. His Royal Highness, der Chief war offensichtlich herausgetreten und bewegte sich Richtung mehreren shrines im Palastgarten und Richtung Fluss - wir konnten immer noch nichts sehen. Dafür erschreckten wir bis ins Mark, wenn ein "body guard" mit einer alten Schrotflinte Schüsse in die Luft abgab. Der Mob bewegte sich geschlossen weiter, den Chief im Zentrum, bewacht von der Army. Nina und ich hatten mittlerweile die Anderen aus den Augen verloren und folgten der Menge mit Abstand. Es war sehr sehr staubig - wir sahen immer noch nichts. Am Fluss verhalf uns der Musungu Bonus und das goldene Kärtchen zum Durchtritt zwischen Soldaten, die als menschliche Kette einen Ring ums Zentrum gebildet hatten. Der Chief sass am Fluss, weissgewandet und warf Korn und andere Lebensmittel in den Fluss. Man hatte uns gesagt, dies sei um die Seelen der Ertrunkenen zu füttern. Und dafür um Fruchtbarkeit fürs Land zu erhalten.
Plötzlich standen Nina und ich mitten im Zentrum. In the eye of the tiger - sozusagen. Menschenmassen um uns herum. Der chief beendete sein Ritual und wurde auf die Schultern eines starken Mannes gehoben - er durfte nun (theoretisch wie sich später zeigte) bis zum nächsten Regen, die Erde nicht mehr mit Füssen betreten. Der Chief sah beeindruckend aus in seinen weissen Gewändern, fremdartig anzusehendem Ornat und Wedel und bewegte sich tranceartig. Typisch für Afrika gab es Brüche in dem Bild - wie zum Beispiel des Chefs dreckige, weisse Nikesöckchen. Und der Mann, der ihn auf den Schultern trug, hatte ein T-Shirt mit einem übergrossen Garfield auf dem Rücken - this is Africa.

Der Chief 
Wir trabten zwei Meter von Chief entfernt, eingekeilt zwischen Army und singender Menge Richtung palace zurück. Es war leicht beängstigend und beeindruckend. Wir hielten uns an den Händen und sangen mit. So schafften wir es knapp hinter dem chief wieder in den Palastgarten hineinzuschlüpfen.
Es glich ein bisschen einem Spiessrutenlauf.

Der Chief ganz nahe...
Daraufhin spielte eine Kapelle, die Entlehnungen an koloniale Armeemusik machte und wir sahen eine Gruppe vor dem chief, der in weissem Hemd und westlicher Kleidung vor den Palast getreten war, tanzen. Die Menschen knieten vor ihm nieder und klatschten drei Mal in die Hände, wenn sie ihn ansprachen.
Nina und ich wurden derweil von einem Mitglied der royal family zum Scheisshäuschen im Garten geführt. Toilettengänge können anspruchsvoll sein in Afrika...

Der Chief hält Hof
Schliesslich verlief sich die Menge im Garten - es war lunch time. Plötzlich wurden wir von father Daniel angesprochen. Er ist ein junger katholischer Pfarrer, den wir in Kahiskishi zum Nachbarn hatten.
Vor einer Woche war er in der Nähe von Mansa vom Bischof zum Priester geweiht worden.  Nun wurde für den kommenden Sonntag ein grosses Fest für ihn in der katholischen Kirche in Kashikshi organisiert.
Nina und ich verbrachten die nächsten Stunden in angenehmer Gesellschaft von Daniel und Kenneth, einem guten Freund von ihm - ebenfalls frischgebackener Priester. Zuerst machten wir uns auf der Hauptstrasse auf die Suche nach etwas zum Essen, das für uns essbar aussah. Ein afrikanisches Volksfest macht einem schweizer musungu doch etwas Hygienesorgen, was das Essen anbelangt.
Daraufhin war Warten, Warten, Warten angesagt.

Das Volksfest

Und jetzt muss ich unterbrechen. Es ist sieben Uhr morgens, Nina ist aufgestanden und auch ich werde meinen Tag beginnen. Ich hoffe, ich kann noch weiterschreiben. Da die Internetverbindung bald schwierig werden wird (unser Monatsvertrag läuft aus), ist es nicht ganz sicher.


Es ist der 1. August.
In der Schweiz gerade Feuerwerk.

Ich nehme den roten Faden meiner Geschichte wieder auf:

Nina, Daniel, Kenneth und ich fanden schliesslich einen Stand mit einigermassen einladendem Afrika-Döner. Er war heiss und gut, die Pommes frites verschenkten wir an ein Kind.
Danach besetzten wir mit viel Glück ein Holzbänkchen im Schatten vor einer Bar und erzählten uns Geschichten aus unserem Leben. Irgendwann zeigte ich ihnen Fotos vom handy aus einem anderen Leben in Europa. Daniel besah mich und rief aus: "You have been fat then!" Nina und ich mussten losprusten. Wir erklärten den verblüfften Patres, dass sie dies einer Musungu-Frau nicht sagen sollten, wenn sie nicht beleidigend sein wollten. Sie fielen aus allen Wolken. Father Daniel erklärte mir, dass in Zambia an einer Frau schon was dran sein muss, damit sie als hübsch angesehen wird.

Unter solch angeregten Gesprächen über kulturelle Differenzen wurde es immer später. Es war heiss, voll und staubig. Wir waren müde.
Schliesslich wurde der Chief von zwei Dutzend rotgewandeten Männern in einer roten Sänfte im Sturmschritt durch die Menge getragen. Das Spektakel dauerte etwa zwei Minuten - dann war es vorbei.
Wir wanderten die Hauptstrasse hinunter Richtung "Arena" und wichen den zunehmend betrunkenen Männern im Slalom aus.


Eingang zur Arena
Schliesslich erschwatzten wir uns einen VIP Zutritt in die Arena. Es war gestossen voll und das Mikrophon schepperte von den Durchsagen multipler Minister, Politiker, Grossredner, übergweichtiger Kravattenträger. Ich glaube, die Spezies klingt weltweit GENAU GLEICH. Und alle Menschen, die ich kenne stellen auf Durchzug oder schlafen gleich ein.  So war es auch hier. Viel Bla Bla. Dann kamen die Geschenke für den Chief.
Zwei Wagenladungen voll mit Flachbildschirmen, Kühlschränken, Matratzen, Zellophanverpacken-Riesenschachteln,....


Einer der Tracks wird beladen

Schliesslich kam endlich der kulturelle Teil zum Zug. Er war enttäuschend. Ein paar hüftenschwingende Damen verschwanden fast unter Mikrophongeschepper und -gebrülle, sowie Werbeplakaten. Dann schwangen die kleine Prinzessin und der Prinz für kurze Minuten ihre Beine und schliesslich war der Chief selbst auf der "Tanzfläche" um sogleich in seiner Sänfte zu entfleuchen.
Das wars.
Mutomboko war over.

Ich bin froh, es erlebt zu haben. Der Beginn am Fluss liess einen schwachen Anklang des alten, mächtigen Afrika ahnen - alles weitere war Volksfest mit Bier und Kommerzveranstaltung mit politischen Werbeeinlagen.
Auch this is Africa.
Die Zambier selbst sagen ganz entspannt: "Oh, I have been to Mutomboko. It was boring."
Das liebe ich an den Menschen hier. Sie sind relaxt und manchmal entwaffnend direkt.


The dance of the ladies

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