Freitag, 12. Juli 2013

Heute

Liebe Freunde

Lange habe ich mich nicht gemeldet - manchmal überflutet mich das Leben hier mit seinen Eindrücken, Abdrücken, Ereignissen, Gerüchen, Gesprächen, Klängen, Notfällen, Zufällen, Unfällen und dann bleibt abends keine Kraft mehr zum schreiben.
An einem einzigen Tag scheint sich mehr zu ereignen als an einem ganzen Monat andernorts. Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage, aber alle sind von einer unglaublichen Intensität an Begegnungen und Erlebnissen; alles ist stärker in Kashikishi, Zambia, sogar die Träume. Well, das stimmt nicht ganz: das einzige was wirklich, aber wirklich langweilig ist, ist das Essen. Ich interessiere mich ja grundsätzlich nicht übermässig für Essen, aber nun merke ich doch, das Essen eine nicht zu unterschätzende Rolle für physisches und seelisches Wohlbefinden spielt. Die Variabilität der Nahrungsmitteln ist gering - um es mal diplomatisch auszudrücken. Es gibt Nshima (weisser Maisbrei ) - schmeckt nacht NICHTS. Dann gibt es gekochte Blätter. Die Menschen hier scheinen herauszuschmecken, ob es gekochte Kassava-, Kürbis- oder weiss nicht was für Blätter sind. Ich merke KEINEN Unterschied. Dann gibt es Tomaten - die mag ich sowieso nicht - und es gibt Avocado (sehr lecker). Das wärs ungefähr. Ah, ich vergass Kartoffeln. An Früchten gibt es exzellente Bananen, ungeniessbar saure Mandarinen und Orangen mit tausend Kernen, Ananas und ab und zu findet man im einzigen "Supermarkt" ein paar Äpfel. Wirklich gut ist Fisch hier. Allerdings ist es ein mittleres Unternehmen von jemandem den Fisch kaufen, bringen und zubereiten zu lassen.
Nshima und Blätter
Also essen wir meist das gleiche.... Und tagträumen von Herrlichkeiten wie Käse, Fleisch, Glacé, Oliven, Vollkornbrot, Jogurt, Salat - ein Königreich für einen Salatkopf! Zusammen mit einem guten Kinofilm... herrlich....

Heute morgen waren wir im Hauptort Nchelenge um unsere Visa zu erneuern. Das müssen wir monatlich einmal machen. Afrikanische Bürokratie ist unerbittlich! Wir bestellten über die Ordensschwestern einen Driver und holperten dann ca 20 Minuten in einem Steinschlaghagel über die Strassen nach Nchelenge.
Unterwegs die pittoresk anzuschauenden braunroten Hüttchen mit Strohdächern, Ziegen kreuz und quer, Horden von Schulkindern in Uniformen, Frauen unter riesigen Gefässen mit Bergen von Fisch oder Kasava auf dem Kopf, gefährlich beladene Fahrräder, grüne Mango- und Papayabäume, Palmen und Bananenstauden. Alle Menschen winkend und starrend und lachend, wenn sie uns im Auto erblicken. Bis vor 10 Jahren gab es hier KEINE Autos und nur einmal am Tag einen Busanschluss. Bis vor 5 Jahren kein Telefonnetz. Viele Menschen, die 12 Schuljahre absolviert haben, fliessend englisch sprechen und an der school of nursery aufgenommen werden (es bewerben sich jährlich um 200 und es gibt nur 50 Plätze), haben noch nie in ihrem Leben eine Toilette benützt...
Die Visumserneuerung geht freundlich und rasch vonstatten. Danach zeigen wir Kim und Lea - unseren zwei neuen Unterassistenten aus der Schweiz - die Strandbar. Es gibt tatsächlich einen kleinen Sandstrand mit vielen Schneckenschalen, einem wildromantischen Bootswrack, weissgestrichene Holzbänkchen, Kleiderwaschenden Kindern und einer Bar, an der man scheppernden Afropop, warme Cola, eiskalte Fanta oder Mirinda bekommt. So setzen wir uns zufrieden mit unseren Zuckerbooster-Getränken auf ein Bänkchen und geniessen das Windchen und die Aussicht. Sehr schade, dass man wegen der Bilharziose nicht mal den Zeh ins Wasser stecken sollte...

The Beach!

Dann geht es weiter mit Francis unserem Driver zurück Richtung Supermarket. Wir benützen die Gelegenheit einen mittleren Grosseinkauf zu machen. Jedesmal finden wir nach angestrengtem Suchen doch noch eine Büchse oder ein Tetrapack von etwas, das wir bisher nicht kannten hier (um die Variabilität zu steigern). Z.B. Knorr Päckchensuppe...

Als wir zurück sind, finden wir Matilda im Garten an der Wäsche. Matilda kocht, putzt und wäscht für uns. Es war zwar sehr gewöhnungsbedürftig einen Hausangestellten zu haben, aber sonst würden wir mehr als die Hälfte des Arbeitstages damit verbringen von Hand unsere Wäsche in einem Zuber kalten Wassers zu waschen, unsere Abfälle im Garten zu verbrennen und verbuddeln, Kartoffeln zu schälen, Bohnen einzulegen, mit Kohle einzufeuern, Fisch zu entschuppen und auszunehmen, den rasch sich anhäufenden Staub und Erde aus dem Haus zu fegen, Wasser von der Pumpe heranzuschleppen, etc, etc.
Beim Fisch entschuppen und ausnehmen...
Matilda ist super. Sie ist die dritte Hausangestellte, die wir jetzt haben. Sie spricht zwar noch viel weniger englisch als die anderen beiden, aber sie ist sehr freundlich, ordentlich und kocht recht gut auf einem kleinen Kohlenkocher im Garten. Maxon (den ersten Hausangestellten) haben wir im halben Pensum behalten - er kümmert sich jetzt ums Wasser auffüllen und um den Garten inklusive Abfallentsorgung. das scheint er viel lieber und besser zu machen als zu putzen. Wir haben jetzt also de facto schon zwei Angestellte...

Es gibt das erste Mal seit langen Fisch. Eine Freude! Wir hatten eine Weile Versorgungsprobleme, da der Benzinherd den Geist aufgab. Es gibt zwar jetzt neu einen grossen Grill im Garten, aber nach der Arbeit immer noch mit Kohle anzufeuern, ist auf Dauer doch recht mühsam und für unsre Angestellte undurchführbar. Jetzt hat Matilda einen kleinen Kohlekocher für 30 Kwacha (6 CHF) gekauft und kocht nun wie bei sich zu Hause vor der Hütte alles mögliche darauf.

Nachmittags bin ich mit beiden Unterassistenten eine Runde im Medical ward drehen gegangen. Nur soviel (da ich jetzt schlafen gehen muss):
- Joyce, der 16jährigen AIDS Patientin, die eine Meningitis überlebt hat, geht es besser. Sie hat heute endlich ihre HIV-Medikamente erhalten. Ihr blinder Vater sitzt Tag und Nacht an ihrem Bett. Und ich bete, dass sie weiter stabil bleibt und ich sie bald entlassen kann!
- Mable geht es immer schlechter. Sie ist eine etwa 40 jährige Patientin, nicht HIV positiv, im soporösen Stadium einer Meningitis - wahrscheinlich eine miliare Tuberkulose, die ihr zu Kopf gestiegen ist. Mittlerweile ist sie nicht mehr ansprechbar und stöhnt kaum noch. Da ich keine intravenösen Anti-Tuberkulose-Medikamente habe, bin ich hilflos...
- Charity, der 25 jährigen, hübschen Patientin mit den unklaren, heftigen Bauchschmerzen geht es etwas besser - vielleicht müssen wir doch nicht öffnen um zu schauen was sich dort drin abspielt. Ich bete einfach, dass da nicht gerade ein Blinddarm platzt...
- bei Bernard, 35 J., mache ich eine Aszitespunktion und lasse etwa 5 Lt ablaufen. Ich habe keine Ahnung warum er seit etwa 1.5 Monaten plötzlich Aszites produziert - eine virale Hepatitis? eine extrapulmonale Tuberkulose? Amöben in der Leber? Darmbilharziose? unkontrollierter CMV? Ich werde es mit den beschränkten Diagnosemöglichkeiten wahrscheinlich nie herausfinden.
- James, 18 Jahre, geht es ein bisschen besser. Er ist ein hübscher Junge und spricht ein bisschen englisch. Er hat zwar immer noch Fieber, aber die Vitalwerte werden langsam besser. Er hat einen seit Monaten bestehenden chronischen Infekt mit Bauchschmerzen, Lk um 23, einer massiven Hepatosplenomegalie und whs Harnweginfekt. Eine Blasenbilharziose wurde gefunden und zwei Mal behandelt. Ohne Besserung der Symptome. Keine Ahnung was er hat. Der Röntgenassistent hat zwar einen abdominalen Schall gemacht und etwas unklares an den Nieren beschrieben... aber ich muss den Ultraschall selber machen, denn die Befunde von Innocent sind z.T recht divergierend von meinen Befunden. Da ich aber dazu bisher keine Zeit gefunden habe, schiesse James seit ein paar Tagen mit einer Tripelkombination Antibiotika i.v. ab und hoffe er rutscht nicht in eine Sepsis. Es scheint zu funktionieren (vielleicht auch TROTZ der Behandlung???)
- Bei XXX (ich hab grad seinen Namen vergessen) weiss ich gar nicht mehr was tun. Er ist etwa 40 Jahre alt, seine Arme und Beine werden immer magerer und der Bauch immer grösser. Schon als er kam, wusste ich, dass er AIDS hatte. Der positive HIV Test hat es mir nur bestätigt. Seine Zunge ist eine einzige Wunde, seine Lunge auf dem Röntgenbild sieht furchtbar aus und klingt auch so, sein Bauch hat Aszites entwickelt und er ist total verstopft und dazu magert er täglich sichtbar ab. Dabei behandle ich ihn seit über einer Woche mit hohen Dosen Antibiotika, Antipilzmitteln, Antikryptokokken, AntiTuberkulotika, AntiPneumocystis, Anti-Allem was ich zur Verfügung habe! Ich weiss wirklich nicht mehr was ich ihm noch geben soll?
- Dann ist ist da noch der Fischer. Ein neuer Patient. Haut und Knochen. Ich verordne viele Tests und ein Antibiotikum.
- Dann der Häftling. Auch ein neuer Patient. Seit einem Jahr auf HAART (HIV-Medis). Sein Röntgenbild ist fast weiss. Der Körper mager-mager-mager. Das ist gar nicht gut. PcP? Tbc? Pneumonie? Ich verordne meine Standarddiagnostik und erste Medikation.
- Dann ist da Kennedy, 17 Jahre alt. Wunderschöner, müder Junge mit einem feinen Gesicht und wohlgeformten Händen. Er bekam mit etwa 14 Jahren eine akute Leukämie. Wurde in Lusaka, am Unispital mit einer Chemotherapie behandelt. Die Leukämie scheint geheilt zu sein. Aber seit einem Jahr ist er aus einem unerfindlichen Grund querschnittgelähmt. Die Angehörigen sagen, es sei nach einer Lumbalpunktion aufgetreten. Wie ein Arzt DAS zustandebringen soll, weiss ich nicht... Villeicht war es die Chemo oder die Krankheit selbst oder tatsächlich die LP? Eins klingst so unwahrscheinlich wie das andere. Tatsache ist die Lähmng. Und seine Beine sind aufgequollen - elefantisch ödematös - und mit Blasen und Wunden übersäht. Manche Wunden (es sind Druckgeschwüre) gehen bis auf den Knochen, sie sind grünlich faulig belegt, stinken zum Himmel oder sind schwarz-nekrotisch. An Steiss, Hüften, Knien und Unterschenkeln. Es ist grotesk. Ich habe noch nie im Leben so etwas gesehen. Kennedy ist seit dieser Woche mein Patient. Als ich es das erste Mal sah, war es ein Schock! Dieser schöne, junge Mensch verfault bei lebendigem Leib. Das ist die Hölle auf Erden.
 Der Anästhesie-Trolley im OP - von so viel Material kann ich im Medical Ward nur träumen
Seit er hier ist, streite ich mich mit den Schwestern herum, dass sie sich um die Wunden kümmern sollen. Sie wollen aber, dass er auf den surgical ward verlegt wird (wo seine Lungen- und Harnwegsentzündung sicher nicht adäquat behandelt würde). Und so versorgen die Schwestern seine Wunden trotz meines täglichen Zuredens und Appelierens NICHT. (Einzig Elysias mein Lieblingspfleger hat wunchgemäss begonnen die Angehörigen zu instruieren.) Heute habe ich es nicht mehr ausgehalten Kennedy in seinen stinkenden, nassen, urindurchtränkten, dreckigen Tüchern und Decken liegen zu lassen. Also habe ich es mit Hilfe von Lea und Kim selber gemacht. Ich erspare euch die Details. Nur so viel: am Ende war ich nass geschwitzt. Ich glaube, man kann sich auch vor Ekel nass schwitzen...



Nach all diesen Patienten wollte ich gegen 18 Uhr Schluss machen. Denn es lief für die KrankenschwesternSchüler eine Abschlussparty in der Schulhalle heute. Und die wollte ich miterleben - wenigstens das Ende davon. Aber grad als ich mich verabschieden wollte, kam Kim und sagte "Du, da ist ein Kind reingebracht worden, dem geht es nicht so gut." Es war ein 7jähriger Junge, grau im Gesicht (und das will was heissen bei einem Schwarzen), ohnmächtig mit Menigismus....
Ich wusste, dass grad kein anderer Arzt im Spital war. Und ein Nicht-Pädiater ist meist immer noch besser als gar niemand.
Um es ganz massiv abzukürzen: es wurde etwa 20h bis wir aus dem Spital herauskamen.

Wir haben dann doch noch das Ende der Party erlebt. Disco!!! Und wurden sofort mitten in den fröhlichen Hexenkessel der ausgelassen tanzenden jungen Menschen hineingezogen. Die hatten einen Heidenspass an uns "Musungus" in Arbeitskleidern mit Stethoskop auf der Tanzfläche.

5 Minuten nachdem wir verschwitzt nach Hause kamen, klopfte der Pfarrer an unsere Tür. Ich hatte ihn  auf einen Abschiedstee eingeladen, da er Kashikishi bald verlassen wird. Und so sassen wir bei Kerzenschein ohne Tee (keine Elektrizität - kein warmes Wasser) mit Cookies gemütlich im Wohnzimmer und plauderten angeregt über Thomas von Aquin, Homosexualität, Polygamie, traditionelle Hochzeiten, Brautpreise, Gottesdienste, Australien, Rom, Hydrozephalus, Franziskaner und vieles mehr.

Der krönende Abschluss waren Toasts mit Avocado und etwas Reisresten.


Ein ganz normaler Tag in Kashikishi.






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