Sonntag, 2. Juni 2013

Mein Weekend in K.
Unser Swiss house ist unsere Oase. 
Mittlerweile sind wir ein Vier-Mädelhaus mit Pascale (der Praktikantin), Sereina (der am Freitag angekommenen Unterassistentin), Nina und mir.
Gestern sind Nina und ich nochmal für eine kurze Weile ins Spital. Nina wollte eine Operation bei einer Patientin nach Kaiserschnitt machen, deren Wunde und whs auch Gebärmutter sich entzündet hatte und ich wollte nach Beauty sehen.  Im Unterschied zu Nina, die während des Frühstücks in den OP gerufen wurde, konnte ich in Ruhe meine leckeren Scones und Bananen verdrücken.
Dann warf ich mich in meine weisse Rüstung, steckte mein Waffen ein (Sterilium, Feuchttücher, Schere, Pinzette, Sauerstoffmessgerät, Stethoskop, Kugelschreiber, Banane - für Beauty, Spritze, s.c.Nadeln, Kracker, Stirnlampe, etc. - kurz allem, was man im Spital NICHT erhält oder MÜHSELIG suchen muss) und machte mich für alles gerüstet mit meinem Knappen (Sereina) auf dem Weg in die Schlacht.

Zwischen School of nursery und Spital hängen Spitalwäsche, OP-Tücher und Patientenwäsche zum Trocknen


Vor dem "theatre", so wird hier der OP-Trakt genannt - obwohl er manchmal wirklich eher einem Theater gleicht - traf ich eine frustrierte und leicht verzweifelte Nina. Sie war sich wieder einmal mit Ndui, dem Chefarzt uneinig über das chirurgische Vorgehen.... (um es diplomatisch auszudrücken).
Man muss dazu sagen, dass Ndui ein 29-jähriger Jungspund ist, der aus eklatantem Ärztemangel in Sambia an diese Stelle gespült wurde. Eigentlich wäre er ein sensibler und fröhlicher Junge mit Flausen im Kopf. Ein Luftibus reinsten Wassers. Doch nun muss er Chefarzt spielen und tut dies in erschreckender Wildwestmanier. Nina und ich haben das Ganze zuerst einmal beobachtet, nachgefragt und uns Gedanken gemacht.... bis wir beide zum Urteil kamen, dass er oft etwas tut ohne zu wissen was er tut. Das Schlimmste daran ist aber, dass er absolut unbelehrbar zu sein scheint und weder Fragen, Anmerkungen, vorsichtige Kritik oder Verbesserungsvorschläge auch nur in Betracht zieht. Unseren Kommentaren gegenüber scheint er total indolent zu sein. Aber TOTAL.
Uns sträuben sich manchmal die Nackenhaare über sein medizinisches oder operatives Vorgehen. Aber sag das mal einem designierten Chefarzt gegenüber. Noch dazu Einem, der erst einen Monat hier ist, 6 Monate chirurgische Erfahrung und whs auch nicht viel mehr medizinische Erfahrung hat... Dafür hat er recht viel Mut. Man könnte auch sagen, er ist tollkühn. Andererseits bleibt ihm whs oft nicht viel mehr übrig. Er hat meist niemanden mit mehr Erfahrung an den er sich wenden könnte. Und ausserdem fragt hier whs selten jemand nach, wenn eine Patientin nach Kaiserschnitt nicht mehr wieder aufwacht. Das gehört zum Risiko im Kashikishi Patient zu sein.
Ich habe hier in zwei Wochen etwa so viele Patienten sterben sehen wie in der Schweiz in zwei Jahren. Ich übertreibe vielleicht (ihr kennt mich ja :-)), aber es sterben viele, viele Menschen hier.
Nun ja, also die Patientin um die es geht, wurde auf Expertise von Dr Ndui doch nicht operiert. Obwohl ihr der Eiter, viel Eiter seit Tagen aus der Wunde und der Scheide läuft. Und Nina und ich ziemlich sicher sind, das sie eine Endomyometritis (Gebärmutterentzündung) whs nun auch mit Peritonitis hat. Und wir ebenfalls ziemlich sicher sind, dass die Bauchhöhle eröffnet werden müsste um zu explorieren und spülen. 
Wir werden sehen, ob die Patientin am Montag noch lebt. Wir hoffen es sehr. Das Blöde in der Medizin ist ja, dass man nie mit 100% Sicherheit weiss, was wirklich das Beste für den Patienten ist. Bzw man weiss es dann vielleicht im Nachhinein. Und ausserdem haben ja auch weder Nina noch ich eine jahrzehntelange chirurgische Karriere auf die wir zurückblicken könnten. Aber es bleibt ein schales Gefühl zurück.

OP-Schwester am Sterilisieren (Dr Nina sagt mittlerweile dazu "dirty, but sterile", zu Beginn sagte sie noch "SO ein Tuch würde man in der Schweiz maximal unter ein AUTO  stellen")


Ich habe dann also Beauty besucht. Sie sah viel besser aus, lächelte sogar über meine pantomimischen Witze und die Banane und wog 3 Kilo weniger. Was mich freute, da es sich um Wasser aus den Beinen und dem Bauch handelte und sie nun besser atmen konnte. Ich spritzte ihr wieder Lasix, rieb ihr die Beine mit Kupfersalbe ein, gab ihr Cardiodoron,  diskutierte mit Nina und Radet über den Einsatz von Betablockern und hoffte, dass am Sonntag die Verordnungen von den Krankenschwestern wenigstens teilweise ausgeführt würden.
Dr Radet ist Ninas und mein Lichtblick im Spital. Er stammt aus dem Kongo und arbeitet schon 4 Jahre im Spital in Kashikishi. Im Kongo ist es schwierig einen Job zu bekommen und insgesamt gefährlich dort zu leben. So ist er nach Zambia "ausgewandert". Jetzt sieht es aber so aus als ob er in die Schweiz kommen würde. Denn durch die Zusammenarbeit mit dem Basler Förderverein, kommen immer wieder schweizer Medizinstudenten nach Kashikishi. Nun und eine dieser schweizer Medizinstudenten war eine Medizinstudentin und es ergab sich daraus eine Liebesgeschichte. Radet und sie wollen nun heiraten um zusammen in der Schweiz leben zu können. Es wird jedoch ein herber Verlust für das Spital hier werden. Denn Radet ist ein erfahrener, umsichtiger und guter Arzt - und noch dazu ein sehr angenehmer Mensch. Wir besprechen medizinische Belange möglichst immer mit ihm. Ausserdem hat er einen sehr guten Koch - und wir dürfen uns nun jeden Mittag bei diesem Essen holen gehen - was unseren Alltag doch äusserst erleichtert.

Der Nachmittag bestand aus Lesen und Duschen, sowie Haare waschen (ein längeres Unterfangen...)
Am frühen Abend hat Radet uns dann abgeholt um in die "Stadt" zu gehen und Billard zu spielen.
Zusammen mit Pascale, Sereina, Ndui, der ausserhalb des Spitals ein angenehmer und lustiger Gefährte ist und seinem scheuen, kleinen Bruder sind wir auf der Erdstrasse nach Downtown Kashikishi gewandert. Das ist ein etwa 25 minuten Fussmarsch vorbei an starrenden Kindern und staubigen Lehmhäuschen bis ins "Zentrum". Dort haben wir zu meinem Erstaunen tatsächlich das "Havana", ein ganz anständiges Restaurant gefunden. Es war innen weiss getüncht, leer und etwas dunkel, da gerade wieder Stromausfall herrschte. Auf der Wandtafel mit  den Gerichten fand sich Nshima (der allgegenwärtige Maisbrei), Goat meat, Fish, Chicken, Veg/Beans und ein oder zwei afrikanische Namen, die sich als caterpillar Delikatesse herausstellten, d.h. geröstete Raupen... 
Ich war etwas misstrauisch was die Küche und etwaige Durchfallfolgen betraf. Aber Pascale hatte schon zwei Mal hier gegessen und es überlebt. 
Also wusch ich mir an einem Eimer die Hände und erwartete bei Kerzenlicht todesmutig meinen Gericht. Wir assen mit den Händen (deswegen wichtig: vorher waschen!), Besteck gab es keines. Ich habe einen exquisiten Fisch erhalten. Wirklich selten so einen guten Fisch gegessen! Die Runde war angenehm und lustig.
Danach sind wir mit etwas Licht aus den handys (es gibt keine Strassenbeleuchtung) über die zappendusteren Strassen zurückgewandert. Die Bars mit den Billardtischen waren entweder geschlossen oder von Horden -schon von weitem besehen- betrunkenen Männern belegt, so dass wir dieses Unternehmen vertagten. Ausserdem war ich SO MÜDE, dass ich dachte den Marathon des Jahrhunderts marschiert zu sein. Zu Hause angekommen, habe ich mich kaum noch aufraffen können meine Zähne zu putzen und bin eingeschlafen ohne mich zuzudecken.
Es ist unheimlich wie erschöpft ich immer noch nach kleinsten "Anstrengungen" hier bin.
Heute Sonntag bin ich nur im Haus und im Garten herumgelegen. Ich habe gegessen, mit den Mädels getratscht, gelesen, Ruben einen langen Brief geschrieben und dem Sonnenuntergang über dem See nachgeschaut. Das hat mir gut getan. Ich hoffe nun mit etwas mehr Elan in die nächste Woche zu starten.

Die Dusche - mit Kochtopf um warmes Wasser über den Kopf zu giessen


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