Dienstag, 11. Juni 2013

Disaster Ward


Meine erste Woche im Male und Female Desaster Ward


Wie ich im letzten blog erzählte,  habe ich entschlossen mich für den Female und Male Medical Ward verantwortlich zu fühlen…

Dies hat mir ein zusätzliches Büschel  grauer Haare, überschäumende Magensäure und zerrüttete Nerven besorgt. 

Meine Krankenakten (Schulheftchen) und die drug charts, auf denen alle Medis  angegeben sind


Einerseits bin ich froh, ins kalte Wasser gesprungen zu sein und  selbstverantwortlich mit der Arbeit begonnen zu haben.  Andererseits musste ich mich eben deswegen direkt mit den - meist nicht funktionierenden - Strukturen im Spital auseinandersetzen. Ich weiss zwar nun ungefähr,  was ich für diagnostische Methoden zur Verfügung habe: das Labor untersucht von Mo-Sa 8 – 12h Urin Stix und Mikroskopie, Stuhl Mikroskopie,  full blood count, Hb, Blutgruppenbestimmungen, Sputum auf Tbc (nur Di und Do), Malaria-Schnelltest und HIV-Schnelltest. Ausserdem kann  die CD4 Zellzahl 2x pro Woche bestellt werden.  Und es können Rx-Bilder und Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden.

Zumindest theoretisch… 

In der Praxis ist für die Rötgenbilder oft der Strom zu schwach oder die Reagenzien fehlen. Und für den Ultraschall (es gibt ein Gerät das funktioniert und ca vier die kaputt herumstehen – kaputt ist auch wenn z.B. die Batterien verbraucht sind) braucht es den Röntgen-"Chef" namens Innocent, der meist betrunken und manchmal auch nicht da ist. Wenn ich dann den Ultraschall selber machen möchte, muss ich den Schlüssel zum Raum organisieren, was keine einfache Aufgabe und dementsprechend zeitraubend ist… 
Francis, der liebenswerte Röntgenassistent am Rasensprengen im Spitalgarten
(seine Lieblingsbetätigung morgens , wenn "current too low for X-rays")

Trotz all diesen Hindernissen funktioniert die Radiologie immer noch deutlich besser wie die Bemühungen Laborresultate zu erhalten: Es begann letzten Dienstag  Nachmittag als ich systematisch meine erste Visite im Male Medical Ward absolvierte. Wie schon gesagt lagen etliche Patienten viele Tage in den Betten herum ohne von einem Arzt gesehen worden zu sein. Man wartete augenscheinlich darauf, ob es von alleine besser oder schlechter würde...... Also hatte ich doch einige diagnostische Fragen und verordnete diverse Laboruntersuchungen.  Drei  student nurses begleiteten mich auf die Visite und eine hübsche junge student Krankenschwester versprach mir hoch und heilig am nächsten Morgen sich persönlich um die Blutentnahmen zu kümmern. Denn das Labor nimmt ja nur morgens Blutproben zur Untersuchung an.  Als ich am Mittwoch kam, berichteten sie auf meine Nachfrage: „Yes, yes, all the samples are taken to the lab!“  Ich machte mich dann auf eine erneute, sehr anstrengende Runde diesmal im Female Medical ward. Nachmittags brachte ich eine student nurse dazu, zum Labor sich zu bequemen um meine Resultate abzuholen. Sie kam zurück um mir freundlich mitzuteilen  : „the specimen havent been done yet“. Ich wunderte mich zwar ein bisschen, war aber gerade mit anderen Problemen wie z.B. schwer kranken und leidenden Patienten beschäftigt. Am nächsten Tag, es war nun Donnerstag geworden, begab ich mich selber zum Labor. Ich fragte etwas ungeduldig nach meinen Resultaten, worauf mir beschieden wurde, es gebe keine. Ich war komplett vor den Kopf geschlagen und konnte es nicht glauben. Der Laborant sah meine ungläubig-tellergrossen Augen und zeigte mir das Buch, in dem die Krankenschwestern alle Proben die ins Labor kamen eingetragen müssen….Vom Medical Ward war die ganze Woche kein einziger Auftrag  erfolgt!!!
Mein Magen verzog sich vor Ärger und Frustration; am liebsten hätte ich mich auf den Boden gesetzt und geweint.  Ich dachte an „meine“ Patienten, die litten und nicht selten auch starben, die mich mit ihren Augen verfolgten, sobald ich einen Schritt in den Krankensaal machte und ich wusste nicht mehr was ich tun sollte. Ich versuchte ja schon alles selber zu machen, was ich machen konnte. Ich hatte mich mit Thermometer ausgerüstet (ich habe nicht gesehen, dass die Pflege auch nur einmal Vitalparameter gemessen hatte), mit Magensäureblockern („oh, we dont have“), mit Analgetika („oh, we are out of Brufen, we have only Panadol“), mit Prednison („oh, the pharmacy is out of stock“), mit Schere (eh nie zu finden), mit Handschuhen (Mangelware), etc, etc . Aber auch als multitaskind Arzt kann man nicht ALLES selber machen. Ich war blind am segeln, sozusagen. Es ist einfach nicht gut eine intensive Antibiotikatherapie gegen Tuberculose zu verordnen, wenn man kein positives Sputum hat. Aber was, wenn die Patientin noch 34 kg wiegt und geschwächt vor sich herhustet?? Oder es ist auch nicht gut, wenn man keine Ahnung hat, ob die Frau, die ihr Alter nicht weiss und unter massivem Durchfall leidet und Erbricht, eine infektiöse Gastroenteritis hat oder nicht??? Oder es ist auch nicht gut, wenn man das Hämoglobin der 30jährigen HIV positiven Frau mit der Milz bis unter den Bauchnabel, die unter ihrer schwarzen Haut erbärmlich blass aussieht, nicht kennt?? Braucht sie nun eine Bluttransfusion oder nicht?? (Ich versuche mittlerweile das Hb anhand der Färbung der Konjunktiven abzulesen – funktioniert recht gut) . Auch nicht so einfach ist ohne Urinuntersuchung bei dem 85jährigen Mann, der seit 2 Monaten an Unterleibschmerzen und häufigem Wasserlassen leidet, zu entschieden wie man Therapieren will. Vielleicht hat er ja doch einen Diabetes mellitus und keine Cystitis oder Blasenbilharziose oder Prostatitis oder einfach ein Carcinom???  
Ich könnte noch viele solcher Beispiele aufzählen. Und alles sind Menschen, die mit ihren Müttern, Vätern, Brüdern oder Kindern mich mit grossen Augen anschauen, sich fast an meine Beine hängen und von mir Heilung erhoffen…
Ich habe dann mit der nursing officer  (der Chefing aller Krankenschwestern/pfleger) und mit Sr Regina geredet um ihnen zu sagen, dass ich so nicht arbeiten kann. Aber dir Hoffnung, dass sich dadurch etwas ändert ist klein. Auch bei der zuständigen Nachmittags-Krankenschwester habe ich mich bitter beklagt, worauf sie mir versprach die Nacht- und Morgenschicht zur Blutentnahmen zu bringen.
Ich erspare euch die weiteren Verwicklungen. … Am Samstag  Morgen hatte ich dann tatsächlich von etwa 8 – 10 Patienten einige Laborresultate, die ich seit dem Dienstag zu bestellen versucht hatte. 
Es hat unglaublich viel Kraft gekostet….

"Taping" - Ascitespunktion, kommt häufig vor (die Patienten müssen die Eimer selbst organisieren)


Zusammen mit Nina, die ihre (im Grundsatz ähnlichen) Desaster Geschichten in einem anderen blog veröffentlicht, rätsle ich schon seit Tagen warum das so ist??? Faulheit, Desinteresse, Übermüdung, Unterbezahlung, Stress?????  Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich ist es oft eine Mischung - sorry, dass ich vielleicht politically uncorrect bin, aber die Erlebnisse hier sind manchmal haarsträubend!
Und die Unterschiede immens. Es gibt Menschen, die unglaublich gut und fleissig und kompetent sind, dabei nicht ihre entspannte zambische Gangart verlieren (und nicht wie wir Europäer ins Verbissene fallen) und dann gibt es eben auch die anderen, viele andere...

Am Samstag haben Nina und ich ebenfalls gearbeitet. Es sollt eine kurze Visite werden... ich war ca um 18h abends dann zu Hause.
Am Sonntag bin ich den ganzen Tag im Bikini im Garten gelegen und habe einen Kitschroman gelesen. So etwas ist schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr vorgekommen - aber hier BRAUCHE ich eine seichte Geschichte von schönen, junge, reichen Menschen, die unbeschwert ihr Glück finden (einzig geplagt von  dem Zweifel :"liebt Kay mich oder nicht?" - er liebt sie natürlich bis ans Lebensende oder "welche Schuhe werde ich zu meinem Brautkleid anziehen?" - HERRLICH)

Sunset over Lake Mweru - von unserem Garten aus

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